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Media Release Fr 22.06.09

Witziger, hintergründiger Zeichner

Alle haben einen blauen Finger. Zeichnungen und Animationen

Peter Radelfinger (*1953 Bern) gehört zu den wichtigen Schweizer Künstlern der Gegenwart. Er schafft mit einfachsten Mitteln anspielungsreiche Zeichnungen, welche brisante Themen auf witzige und hintergründige Art miteinander verweben. Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern präsentiert drei aktuelle Werkgruppen, die seit dem Jahr 2000 entstehen und ständig erweitert werden.

Peter Radelfinger konzentriert sich seit den 80er-Jahren fast ausschliesslich auf das Medium der Zeichnung. Im Zentrum der drei thematischen Serien, welche in der Ausstellung gezeigt werden, stehen allgemeine Fragen zum Individuum und zu gesellschaftlichen und politischen Themen. In Radelfingers Schaffen sind auch Fragestellungen zu unserer Wahrnehmung und zum Wesen der Zeichnung präsent. So werden einzelne Zeichnungen oder Serien als digitale Projektion, als Neonzeichnung oder als Plotterinstallation auch in anderen Medien präsentiert.

Der moderne «Zwitscherraum»
In der Serie Endlich komm ich in den Zwitscherraum (seit 2000, ca. 300 Pinselzeichnungen auf Plotterpapier) ist der Bezug zur Kommunikationsgesellschaft offensichtlich. Vögel, Käfige und Aufnahmegeräte sind in unterschiedlichen Variationen und Metamorphosen zu sehen. Die Vogelhäuschen mutieren zu Überwachungskameras, die Vögel verschmelzen mit den abstrahierten Ästen, auf denen sie sitzen, haben bildschirmförmige Köpfe oder betrachten Computer und Handys als ihr Zuhause, ihren Käfig. Der Vogel - Symbol der körperlosen Seele und des freien Denkens - ist in Radelfingers «Zwitscherraum» den Veränderungen seiner Umgebung hilflos ausgeliefert. Radelfinger untersucht in der Serie auch so ambivalente Themen wie Geborgensein und Gefangenschaft oder Freiheit und Überwachung.

Von der Zeichnung zur Animation
Die digitale Arbeit Jokeanima (seit 2005) wird in 3 Projektionen gezeigt. Es handelt sich dabei um eine Auswahl minimal animierter Kugelschreiberzeichnungen aus der Serie Joke (seit 2003). Neben politischen Fragen der Kommunikation und Überwachung geht es auch um die Kommunikation «im Kleinen», um zwischenmenschliche Beziehungen, die Begegnung zwischen Mann und Frau, um Trennung und Isolation.

Porträts eines Abwesenden
Für die Serie Kissen und Falten (seit 2000, ca. 1000 Blätter) schickt der Künstler während der Ausstellungsdauer täglich von seinem Computer aus neue Kissenzeichnungen an den Plotter, welcher diese ausdruckt. Diese Zeichnungen sind auf einem digitalen Zeichentablett entstanden. Damit stellen sich Fragen nach den Möglichkeiten der Zeichnung und nach dem Verhältnis von Original und Kopie, da das digital gezeichnete «Original» z.B. beliebig oft ausgedruckt werden kann. Das Thema der Falte wird durch die bedruckten Papierbahnen, welche sich vor dem Plotter auftürmen, räumlich erlebbar. Die Serie Kissen und Falten hat sich aus Radelfingers Beschäftigung mit dem Selbstbildnis entwickelt. Während Radelfinger sich lange mit dem eigenen Gesicht befasste, arbeitet er hier mit dessen Absenz: er zeichnet am Morgen gleich nach dem Aufstehen das Kissen, auf dem sein Kopf während der Nacht einen Abdruck hinterlassen hat. So sind diese Kissenzeichnungen gewissermassen Porträts eines Abwesenden.

Ohne anklagend oder moralisch zu wirken, reflektiert Radelfinger die Aktualität des Mediums Zeichnung und bringt mit seiner einfachen Zeichensprache Fragen der heutigen Zeit auf humorvolle und hintersinnige Art auf den Punkt.